Autor: MARVIN NAGEL / SüdKURIER 24.01.2024
Täuschend echte Bilder erstellen, Doktorarbeiten schreiben: Es scheint, als gäbe es nichts, was KI nicht kann. Aber wie genau nutzen Unternehmen sie – und bedrohen sie dort Jobs?
Manche sehen die Künstliche Intelligenz (KI) als Segen, der unser Leben erleichtert. Andere befürchten, sie sei die nächste Atombombe. Sicher ist, dass ihr Einfluss auf unser aller Leben in den nächsten Jahren noch steigen wird – gerade im Arbeitsalltag. Wir haben uns bei verschiedenen Unternehmen umgehört, wie genau sie dort eingesetzt wird.
Marquardt nutzt KI für das Auto der Zukunft
Das Unternehmen Marquardt aus Rietheim-Weilheim bei Tuttlingen stellt mechatronische Schalt- und Bediensysteme her. „Wir setzen die KI besonders im Innovationsbereich ein“, erklärt Unternehmenssprecher Ulrich Schumacher.
So nutze Marquardt die KI für neue Entwicklungen – wie im Auto der Zukunft: Die KI erkenne etwa Gesten, mit denen der Fahrzeugbesitzer Tür oder Kofferraum öffnen oder schließen kann. Generell werde die KI häufig dazu eingesetzt, um den Komfort und die Sicherheit beim Autofahren zu verbessern.
Mechatroniker des Automobilzulieferers Marquardt haben ein System entwickelt, das Kinder vor Überhitzung im Auto schützen soll. Die KI soll Vitaldaten der Insassen und das ungefähre Alter erkennen und im Notfall Rettungskräfte alarmieren können. | Bild: Marquardt
Um die KI aber überhaupt so zu trainieren, dass sie Gesten erkennen und unterscheiden kann, „dazu braucht es auch menschliche Intelligenz“, so Schumacher. Die Gefahr, dass durch die KI Arbeitsplätze wegfallen, sei hier also absolut nicht gegeben.
KI unterstützt bei EnBW Mitarbeiter in ihrer Entscheidungsfindung
Das Zusammenspiel von Mensch und KI spielt auch bei EnBW eine zentrale Rolle. Rainer Hoffmann ist Chief Data Officer und Konzernexperte für Daten und Analytik bei Baden-Württembergs größtem Energieversorger. Er benutzt dafür den Fachbegriff „decision support system“. Frei übersetzt bezeichnet das die Hilfe der KI bei der menschlichen Entscheidungsfindung.
Seit sieben Jahren werde KI bei EnBW eingesetzt, „quer durch alle Einheiten“, so Hoffmann. So helfe die KI beim Verlegen vom Leitungen, im Offshore-Bereich oder bei der Vorhersage der Photovoltaikeinspeisung. Das hört sich kompliziert an, folgt aber – grob gesagt – immer einem ähnlichen Muster. Die KI analysiert Daten und liefert dem Mitarbeiter Prognosen, worauf dieser seine Entscheidung stützen kann.
Als besonders wichtig sieht Rainer Hoffman die Rolle der bei der Energiewende, „die lässt sich letztlich nur mit dem Einsatz von KI bewerkstelligen. Wenn zum Beispiel auf dem Dach des Hauses Solarzellen sind und unten in der Garage das Elektroauto steht, wird es zukünftig besonders wichtig sein, die Einspeisung, sowie den Verbrauch des Haushalts möglichst gut vorherzusagen.“
Generative KIMit generativer KI werden die KI-Formen bezeichnet, die neue Inhalte produzieren auf der Basis eines Datensatzes. Der wohl prominenteste Vertreter von generativer KI ist ChatGPT. Im Gegensatz zur traditionellen KI ist die generative KI lernfähig. Die traditionelle KI führt bestimmte Aufgaben nach vorgegebenen Regeln oder Algorithmen aus ohne sich dabei zu verbessern.
EnBW nutzt ebenfalls die generative KI. Sie könne im Personalwesen oder im Rechtsbereich unterstützen, erklärt Hoffmann – und die Mitarbeiter so massiv entlasten. So sei eine KI schon längst dazu in der Lage, eine Stellenbeschreibung zu verfassen. Welche Punkte besonders wichtig sind in der Stellenbeschreibung und wer den Job bekommt, das entscheide aber immer noch der Mensch.
Die generative KI setzt auch der Autozulieferer ZF sein. Chat.ZF heißt sie dort – und ist damit sozusagen das firmeninterne Gegenstück zu ChatGPT. Sie soll Beschäftigte unterstützen und ihnen lästige Aufgaben abnehmen. Gerade im Controlling „sind 80 Prozent aller Tätigkeiten langweilig“, so René Deist, Digital-Chef bei ZF.
Durch das Abgeben von Tätigkeiten wie Tabellen aktualisieren und Datensätzen auswerten an die KI, habe ein Controller wieder viel mehr Kapazitäten für seine eigentliche Aufgabe, nämlich zu steuern. Die KI sei in einer so komplexen Arbeitswelt wie heute einfach unersetzlich – zur Unterstützung, nicht zum Ersetzen des Menschen.
KI auch Teil der Verteidigung Europas
Selbst bei Entscheidungen, bei denen Menschenleben auf dem Spiel stehen, wird die KI eingesetzt. Beim Airbus-Werk in Immenstaad am Bodensee wird federführend die Combat-Cloud im Rahmen des Future Combat Air System (FCAS) entwickelt. Das FCAS bezeichnet Airbus als „eines der wichtigsten europäischen Verteidigungsprogramme der kommenden Jahrzehnte“.
Konkret heißt das: Mittels der Combat Cloud sollen alle Plattformen der europäischen Verteidigung (Flugzeuge, Schiffe, Landfahrzeuge) zusammengeschlossen werden, um auf der Basis der Daten und der Empfehlung der KI, Entscheidungen treffen zu können. Diese können weitreichende Folgen haben – denn die Entscheidungsträger könnten Kampfjet-Piloten sein.
Deshalb wurde dafür eine Kommission geschaffen, die Leitlinien für den KI-Einsatz entwickelt hat. Marc Paslowski, Leiter des Projekts Combat Cloud, stellt klar: „Unser europäisches Luftverteidigungssystem wird zu jeder Zeit und unter allen Umständen unter der vollen Kontrolle eines verantwortlichen menschlichen Anwenders stehen.“
KI-Einsatz für Unternehmen unvermeidbar
Dass die Kontrolle beim Menschen bleibt, kann auch Gennadi Schermann bestätigen. Er ist Geschäftsführer beim DIZ (Digitales Innovationszentrum Baden-Württemberg). Das DIZ unterstützt Unternehmen sowie öffentliche Einrichtungen. „Wir versuchen herauszufinden, wo ein möglicher Ansatzpunkt für den Einsatz von KI ist“, berichtet Schermann. In vielen Unternehmen sei da noch Nachholbedarf vorhanden, etwa beim Automatisieren von Geschäftsprozessen.
Oftmals würden falsche Vorstellungen dazu führen, dass eher auf die Risiken und nicht auf die Vorteile geschaut werde. „KI kann immer nur unterstützen, gewisse kognitive Fähigkeiten des Menschen sind nicht zu ersetzen“, so Schermann. Deshalb werde sich das Profil für viele Berufe in Zukunft verändern. Dabei gehe es aber darum mit KI zusammenzuarbeiten, nicht den Menschen zu ersetzen.
Es sei ein europäisches Phänomen, dass die KI kritisch beäugt wird. Aber eigentlich könne sich kein Unternehmen mehr leisten, sich nicht mit KI zu beschäftigen und die Vorteile für sich zu nutzen, schlussfolgert Schermann. „Natürlich ist es möglich, dass in Zukunft manche Stellen aufgrund des KI-Einsatzes nicht mehr benötigt werden. Aber ohne KI verschwindet das gesamte Unternehmen.“
Originial Artikel unter https://suedkurier.de/ueberregional/wirtschaft/einsatz-von-kuenstlicher-intelligenz-in-unternehmen;art416,11870735
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